Dieser Artikel ist Bestandteil unserer siebenteiligen Artikelserie über die wunder- und heilsame Welt der Pilze.
Viele von uns sind mit Pilzen vertraut. Wir sehen sie auf Waldspaziergängen und essen im Herbst gern eine Pilzsuppe. In Deutschland haben wir das Glück, noch immer über eine relativ intakte Pilzkultur zu verfügen. Außer über die geläufigen Speisepilze und die lästigen Pilze im Rasen wissen wir allerdings oft nicht viel über diese vielfältigen und überaus faszinierenden Lebewesen. Ehrlich gesagt habe ich Pilze auch lange Zeit irgendwo zwischen Parasiten und Gemüse eingeordnet, bevor ich lernte, was für eine wichtige Rolle sie in der Natur und für unsere Gesundheit spielen. Je mehr ich über Pilze erfahre und im Wald und in der Küche mit ihnen in Kontakt bin, desto mehr faszinieren mich diese obskuren Lebewesen, über die auch die Wissenschaft noch viel zu lernen hat.
Aber was ist eigentlich ein Pilz?
Pilze, in der Fachsprache auch Fungi genannt, bilden ein eigenes Reich in der biologischen Einteilung eukaryotischer Lebewesen. Sie sind sowohl mit Pflanzen als auch mit Tieren verwandt, wobei die Wissenschaft sie als den Tieren näher ansieht. Wie Pflanzen sind sie sesshaft, aber sie betreiben keine eigene Fotosynthese. Pilze sind wie Tiere auf die Energiegewinnung durch Aufnahme organischer Substanzen angewiesen, wofür sie ganz verschiedene Strategien entwickelt haben. Neben den uns vertrauten vielzelligen Pilzen spielen auch Einzeller wie beispielsweise die Backhefe (Saccharomyces cerevisiae) in unserem Alltag und im Ökosystem eine Rolle. Das Feld der Wissenschaft, das sich mit Pilzen beschäftigt, ist die Mykologie.
Schadet Pilzesammeln dem Wald?
Oft sind umweltbewusste Menschen um den Pilzbestand besorgt und es ist mir beim Pilzesammeln schon passiert, dass ich von anderen Waldfreunden darauf angesprochen wurde. Ich bekam gesagt, ich würde das Gleichgewicht des Waldes stören, indem ich Pilze ernte und mit nach Hause nehme. Tatsächlich tue ich dem Wald beim Pilzesammeln im Gegenteil sogar einen Gefallen. Um das zu verstehen, muss man zuerst den Pilz als Lebewesen verstehen. Der eigentliche Pilz ist das Myzel, das aus wurzelählichen Hyphen besteht, die sich unter dem Boden vernetzen. Bei einem Waldspaziergang kann man diese oft als feine weiße Linien auf der Unterseite von feuchten, verrottenden Blättern sehen. Auch wenn sie optisch Pflanzenwurzeln ähneln, bilden die Hyphen das Myzel und damit den eigentlichen Pilz. Mit dem Pilzsammeln verhält es sich etwa so wie mit dem Apfelpflücken: Der Pilz hat genauso wie der Apfelbaum einen Großteil seiner Energie in das Ausbilden leckerer Früchte gesteckt, mit denen er seine Sporen (oder im Falle des Apfels Samen) verteilen will. Indem ein Tier des Waldes den Pilz frisst und später mit dem Kot seine Sporen ausscheidet, hilft es dem Pilz, sich zu verbreiten und fortzupflanzen. Das gleiche gilt für mich als Pilzsammlerin, denn ich verteile bei meinem Spaziergang mit dem Pilzkorb die Sporen im Wald. Auf die Fortpflanzung von Pilzen will ich hier nicht näher eingehen, denn sie haben außer männlich und weiblich noch viele andere Geschlechter. Je nach Art können es bis zu 54.000 verschiedene sein und nicht alle von ihnen sind kompatibel…
Pilze und der Wald
Im Ökosystem Wald spielen Pilze eine große Rolle. Das Wissen über ihre symbiotischen Beziehungen zu Bäumen verbreitet sich nicht zuletzt dank der wunderbaren Bücher von Förster und Autor Peter Wohlleben immer mehr. In seinem Buch Das geheime Leben der Bäume schreibt er: Pilze „agieren wie die Glasfaserleitungen des Internets. Die dünnen Fäden durchdringen den Boden und durchweben ihn in kaum vorstellbarer Dichte. So enthält ein Teelöffel Walderde mehrere Kilometer dieser »Hyphen«. Ein einziger Pilz kann sich im Laufe von Jahrhunderten über etliche Quadratkilometer ausdehnen und so ganze Wälder vernetzen. Durch seine Leitungen gibt er die Signale von einem Baum zum nächsten weiter und hilft ihnen dabei, Nachrichten über Insekten, Dürren und andere Gefahren auszutauschen. Mittlerweile spricht sogar die Wissenschaft von einem »Wood-Wide-Web«, welches unsere Wälder durchzieht.“ Wohlleben beschreibt hier in anschaulicher Weise die Rolle von Mycorrhizae, also Pilzen, die sich mit den Wurzeln der Bäume verbinden und symbiotisch mit ihnen zusammenarbeiten. Diese Pilze versorgen Bäume mit Wasser und Nährstoffen und werden dafür im Ausgleich mit zuckerhaltigen Flüssigkeiten ‘belohnt’. Zu dieser Art von Pilzen gehören beispielsweise die beliebten Pfifferlinge (Cantharellus), Steinpilze (Boletaceae), Täublinge (Russula) oder auch der fotogene, aber leider giftige Fliegenpilz (Amanita). Sie finden sich nur zu bestimmten Jahreszeiten, wenn die Temperatur und vor allen die Bodenfeuchtigkeit ideal sind. Diese Pilze sind der Grund, dass ich im Moment in der Regenzeit in den Bergen Mexikos unterwegs bin, immer auf der Suche nach einer neuen Pilz-Bekanntschaft und einem besonderen Leckerbissen. Aber natürlich gibt es noch andere Pilzarten, die im Ökosystem Wald von Relevanz sind. Dazu gehören vor allem Pilze, die organisches Material zersetzen.
Einige Pilzfamilien
Pilze lassen sich in viele verschiedene Gruppen einteilen, ich werde mich aber auf einige der im Zusammenhang mit Speise- und Heilpilzen wichtigsten Gruppen beschränken. Insgesamt bilden weniger als 5% aller Pilze Fruchtkörper aus, also den Teil, den wir beispielsweise essen. Oft meinen wir diesen Bruchteil der Pilze, der für uns nutzbar und nützlich ist, wenn wir von Pilzen sprechen. Auch hier werde ich mich auf diesen Teil beschränken. Fruchtbildende Pilze lassen sich in Zersetzer, Parasiten und Mutualisten unterteilen.
Zersetzer
Sie zersetzen organische Materie und unterscheiden sich wiederum in Lignin und Zellulose zersetzende Pilze. Zu dieser Gruppe gehören beispielsweise die Porlinge wie Reishi (Ganoderma lucidum), die Schmetterlingstramete (Trametes versicolor) und Maitake (Grifola frondosa). Andere Zersetzer sind beliebte Speisepilze wie Seitlinge (Pleurotus) oder Shiitake (Lentinula edodes). Einer meiner liebsten Pilze in dieser spannenden Gruppe ist der Igel-Stachelbart (Hericium erinaceus), der nicht nur ein leckerer Speisepilz, sondern auch ein spannender Heilpilz ist, aber dazu mehr an anderer Stelle.
Zersetzer findet man beispielsweise auf verrottenden Baumstämmen. Einige von ihnen können auch parasitär wachsen, wenn sie beispielsweise einen noch lebenden Baum befallen und dessen Holz zersetzen. Wenn sie aus noch lebenden Bäumen sprießen, können sie aber auch dort bereits totes Holz zersetzen und sind damit dem Baum nicht schädlich. Ein Pilz, bei dem das häufig zu beobachten ist, ist der Holunderpilz (Auricularia sambucina).
Mutualisten
Diese Pilze sind genau das Gegenteil der Parasiten, denn sie nutzen ihrem Wirt. Sie gehen mit Bäumen im Wald oder auch mehrjährigen Pflanzen im Garten eine Symbiose ein und arbeiten zusammen, wie Peter Wohlleben es so schön aus seinem Wald berichtet. Zu den Mutualisten gehören beispielsweise die oben erwähnten Pfifferlinge, Steinpilze, Täublinge und Fliegenpilze. Da sie sich mit den Wurzeln zusammenschließen sprießen Mutualisten naturgemäß aus dem Boden.
Im nächsten Teil zu dieser Themenreihe soll es um medizinische Pilze oder auch Vitalpilze gehen. Dabei werde ich auf deren Zusammenspiel mit dem Immunsystem eingehen und die Wirkung von Pilzen wie Reishi, Cordyceps oder Maitake kurz anreißen.
Parasiten
Unter den bekanntesten Pilz-Parasiten sind die Cordyceps Pilze, die Insekten oder deren Larven befallen und diese „steuern“ können, bevor sie sie töten und mithilfe ihrer Nährstoffe den Fruchtkörper aus ihnen wachsen lassen. Das größte Lebewesen auf der Erde ist außerdem ein parasitärer Pilz, nämlich der rund neun Quadratkilometer umfassende und geschätzt 600 Tonnen schwere, 2.400 Jahre alte Dunkle Hallimasch (Armillaria ostoyae). Dieses Riesenexemplar wurde im Jahre 2000 in Oregon (USA) entdeckt, kommt aber auch in Europa vor. Parasitäre Pilze findet man oft direkt auf dem Waldboden, sie können aber auch aus lebenden Pflanzen oder Insekten in toten Baumstämmen wachsen.
Quellen
Peter Wohlleben: Das geheime Leben der Bäume. Ludwig Verlag. 2015.
Craig L. Schmitt, Michael L. Tatum: The Malheur National Forest. Location of the World’s Largest Living Organism. The Humongous Fungus. United States Department of Agriculture. 2008. https://www.fs.usda.gov/Internet/FSE_DOCUMENTS/fsbdev3_033146.pdf
Timo Mendez, Pilzexperte, Autor und Amateur-Mykologe. https://timendez.wixsite.com/portfolio